Der libanesische Premierminister Najib Mikati beschließt mit der EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen in Beirut ein Migrationsabkommen. Foto: dpa/Marwan Naamani

Immer mehr Menschen machen sich auf den Weg in Richtung Europa. Die EU hat lange zu wenig getan. Nun schließt sie Abkommen mit Mittelmeeranrainern, doch die Aussichten auf Erfolg sind mehr als ungewiss, kommentiert unser Brüssel-Korrespondent Knut Krohn.

Der Strom der Flüchtlinge nach Europa muss kontrolliert werden. Das ist keine Frage. Zu viele verzweifelte Menschen machen sich auf der Suche nach Frieden, Freiheit und wirtschaftlicher Sicherheit auf den gefährlichen Weg in Richtung Norden. In der EU wurde dieses Problem zu lange ignoriert oder kleingeredet. Gleichzeitig wurde erschreckend tatenlos hingenommen, dass jedes Jahr tausende Menschen auf ihrer Flucht aus den Krisenregionen im Mittelmeer ertrinken oder in den Wüsten Nordafrikas jämmerlich verdursten.

Jüngst hat sich die Europäische Union endlich entschlossen zu handeln. Ziel ist die Reform der eigenen Asyl- und Migrationspolitik. Das bisherige, nicht funktionierenden Flickwerk soll ein Ende haben. In Brüssel wird natürlich betont, dass Europa den Flüchtlingen vor allem aus humanitären Gründen beistehen muss. Das hört sich gut an, doch ist es nicht die ganze Wahrheit. Getrieben werden die Verantwortlichen von der Angst, dass die extremen rechten Parteien aus der Europawahl im kommenden Juni als die großen Sieger hervorgehen könnten. Als warnendes Beispiel dient Italien. Dort hat die Postfaschistin Giorgia Meloni mit aggressiven Parolen gegen die ankommenden Flüchtlinge die Wahl gewonnen.

Das Problem wird an Drittstaaten ausgelagert

Zu der jüngst beschlossenen Reform zählen auch Abkommen mit sogenannten Drittstaaten. Vereinfacht gesagt werden diese Länder von der EU üppig dafür bezahlt, dass sie die Flüchtlinge abfangen, noch bevor diese ihren Weg nach Europa fortsetzen. Ägypten und Tunesien dienen immer wieder als Beispiele, obwohl der Erfolg in diesen Fällen mehr als überschaubar ist.

Nun hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein ähnliches Abkommen mit dem Libanon verkündet. Das zeigt allerdings vor allem eines: wie groß die Ratlosigkeit in Brüssel in Sachen Migrationspolitik sein muss. Nüchtern betrachtet grenzt der Milliarden-Deal in Beirut fast schon an eine Verzweiflungstat. Denn die Europäische Union verlangt Hilfe von einem Land, das sich seit Jahren in einem Zustand der permanenten Katastrophe befindet.

Im Libanon herrscht ein Machtvakuum

Politisch herrscht im Libanon ein Machtvakuum. Die Kämpfe innerhalb der verfeindeten Eliten verhindern seit über einem Jahr die Wahl eines Staatsoberhauptes. Das spiegelt sich auch in der abgrundtiefen, konfessionellen Spaltung der Gesellschaft, die ein konstruktives Zusammenleben unmöglich macht. Zudem steckt das Land in der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise seiner Geschichte. Und militärisch sitzt der Libanon auf einem Pulverfass. Die vom Iran unterstützten Hisbollah-Miliz im Land beschießt den Nachbarn Israel ständig mit Raketen. Gleichzeitig zählt der Libanon mehr als 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge – bei knapp über fünf Millionen Einwohnern. Das führt zu Spannungen in der Gesellschaft, von brutalen Übergriffen wird berichtet und Politiker rufen immer wieder dazu auf, die Syrer aus dem Land zu werfen.

Eigentlich kein Partner für ein Abkommen

Objektiv betrachtet ist der Libanon Lichtjahre davon entfernt, ein wirklicher Partner für einen Flüchtlingspakt zu sein. Nüchtern betrachtet führt aber kein Weg daran vorbei, auch mit schwierigen Ländern eine Verständigung zu suchen. Gleiches gilt für die Autokratien Tunesien und Ägypten. Die Staaten rund um das Mittelmeer sind ein zentraler Baustein der Europäer bei ihrer Reform der Asyl- und Migrationspolitik.

Wer allerdings glaubt, dass mit solchen Abkommen die Flüchtlingszahlen schnell sinken werden, der irrt gewaltig. Über Jahrzehnte hat Europa die Augen verschlossen, das rächt sich nun.